Die Gesundheitsversorgung in Deutschland ist stetigen Veränderungen ausgesetzt. Ziel der Versorgungsforschung ist es, zu untersuchen wie der Zugang zu Gesundheitsversorgung, deren Qualität und Wirtschaftlichkeit sowie der patientenindividuelle Nutzen durch soziale und individuelle Faktoren, Organisationsstrukturen und -prozesse, Finanzierungssysteme und neue Innovationen beeinflusst werden. Die Versorgungsforschung liefert Anhaltspunkte zur Versorgung der Bevölkerung unter Alltagsbedingungen.
Auch in diesem Bereich möchte das InGef praxisnahe Impulse für die Weiterentwicklung der Versorgung in Deutschland bereitstellen.
Auf Basis anonymisierter Routinedaten untersuchen wir den aktuellen Versorgungsbedarf (Input), um ggf. Versorgungsdefizite zu identifizieren. Wir evaluieren die Umsetzung und Wirksamkeit (neuer) Versorgungsstrukturen und -prozesse (Throughput). Außerdem betrachten wir die erbrachten Versorgungsleistungen (Output) und die Auswirkung der aktuellen Versorgung auf die Gesundheitsqualität (Outcome) der Versicherten.
Um einen Beitrag zu Weiterentwicklung der Versorgung in Deutschland leisten zu können, untersuchen wir Fragestellungen aus allen Bereichen der Versorgungsforschung:
- Versorgungsbedarf (Input)
- Einflussfaktoren, die die Nutzung des Gesundheitssystems begünstigen (Input)
- Inanspruchnahmeverhalten (Input)
- Regionale Variationen in der Versorgung (Throughput)
- Versorgungspfade (Throughput)
- Implementierung/Einhaltung externer Qualitätsstandards wie nationaler Versorgungsleitlinien oder GBA-Richtlinien (Output)
- Vermeidung von Komplikationen (Outcome)
- Wirtschaftlichkeit von Therapien oder Versorgungsstrukturen (Outcome)
- Wirtschaftliche Implikationen neuer Therapien für die Solidargemeinschaft (Outcome)
Pharmakoepidemiologie
Im Rahmen pharmakoepidemiologischer Untersuchungen werden epidemiologische Methoden auf Fragestellungen zur Arzneimitteltherapiesicherheit angewendet. Damit bildet die Pharmakoepidemiologie eine Grundlage für die Beurteilung der Arzneimitteltherapiesicherheit in der Alltagsversorgung der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland. Das Ziel des InGef ist es, einen Beitrag zum evidenz-basierten Einsatz von Arzneimitteln zu leisten, sowohl hinsichtlich der Wirksamkeit und Sicherheit als auch mit Blick auf die gesundheitsökonomische Effizienz. So haben wir beispielsweise untersucht, inwiefern die Einnahme von Schilddrüsenhormonen mit einem erhöhten Frakturrisiko assoziiert ist. Aktuell untersuchen wir die Anwendungssicherheit von SGLT-2-Inhibitoren zur Behandlung von Typ-2-Diabetes im deutschen Versorgungsalltag.
Auf Basis anonymisierter Routinedaten der gesetzlichen Krankenkassen führen wir Beobachtungsstudien zum Gebrauch und den Effekten von Arzneimitteln in der Regelversorgung durch. Bei der Durchführung der Studien orientieren wir uns an den Grundsätzen der guten pharmakoepidemiologischen Praxis (GPP: Guidelines for Good Pharmacoepidemiology Practices).
Fördermittelprojekte
KI-FDZ: Künstliche Intelligenz am Forschungsdatenzentrum - Erforschung von Anonymisierungsmöglichkeiten und AI-Readiness (Förderzeitraum: 2021-2024)
Der Schutz hochsensibler Gesundheitsdaten steht im Fokus des durch das Bundesministerium für Gesundheit geförderten Verbundprojekts KI-FDZ. Neben dem InGef-Institut für angewandte Gesundheitsforschung Berlin GmbH sind das Forschungsdatenzentrum Gesundheit (FDZ) am Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), die AG Medizininformatik des Berlin Institute of Health (BIH) an der Charité- Universitätsmedizin Berlin, das Fraunhofer- Institut für Digitale Medizin MEVIS und Mostly AI beteiligt.
Durch den Ausbau und die Weiterentwicklung des FDZ soll die sichere Nutzung von Gesundheitsdaten zu Forschungszwecken in Deutschland nachhaltig verbessert werden. Daher wird in den nächsten drei Jahren unter Verwendung relevanter Use Cases auf Grundlage der InGef Forschungsdatenbank zunächst die Anonymisierungsgüte von klassischen Anonymisierungsmethoden (ARX Tool) mit synthetisch erzeugten Gesundheitsdaten verglichen. Ziel ist die Gewährung eines maximalen Schutzes der Privatheit der PatientInnendaten bei gleichzeitiger Wahrung der Nutzbarkeit der Daten. Die prototypische Implementierung der Methoden in eine open-source Plattform (Conquery), unterstützt bei der kontinuierlichen Evaluation der Übertragbarkeit auf die Prozesse im FDZ.
Zudem soll im Rahmen des Projektes exploriert werden, welchen Nutzen KI-Methoden für die Analyse der Daten bieten und welche Tools den Nutzungsberechtigten zur Durchführung von KI-Experimenten angeboten werden können.
REVASK- Versorgungsanalyse zur myokardialen Revaskularisationstherapie bei chronischer KHK (Förderzeitraum: 2019-2023)
Das REVASK-Projekt geht bei Personen mit chronischer koronarer Herzkrankheit (cKHK) der Frage nach, ob und inwiefern die Zusammenarbeit von Ärztinnen und Ärzten der beiden Fachdisziplinen Kardiologie und Herzchirurgie in so genannten Herzteams die Entscheidung zur Revaskularisationstherapie – Stent per Katheter oder eine Bypass-Operation – beeinflusst. Im Mittelpunkt der Auswertung stehen Patientinnen und Patienten für die die Nationale Versorgungsleitlinie cKHK vorrangig ein invasives Verfahren (Bypass) empfiehlt.
Neben der InGef-Institut für angewandte Gesundheitsforschung Berlin GmbH, sind die Pädagogische Hochschule Freiburg, die Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG), die Stiftung Institut für Herzinfarktforschung (IHF), die PMV Forschungsgruppe (Universität zu Köln), die BARMER und die Techniker Krankenkasse (TK) als Konsortialpartner und der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie – Herz- Und Kreislaufforschung e.V. (DGK e.V.) als Kooperationspartner am Vorhaben beteiligt. Das Projekt REVASK wird im Rahmen des Innovationsfonds vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) gefördert.
egePan-Unimed - Entwicklung, Testung und Implementierung von regional adaptiven Versorgungsstrukturen und Prozessen für ein evidenzgeleitetes Pandemiemanagement koordiniert durch die Universitätsmedizin (Förderzeitraum: 2020 – 2023)
Über eine Kooperation mit dem Institut für Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung an der Otto-von-Guericke Universität Magdeburg ist die InGef am Projekt egePan-Unimed innerhalb des vom BMBF geförderten Netzwerk Universitätsmedizin (NUM) beteiligt. Zum Teil in Kooperation mit gesetzlichen Krankenversicherungen (AOK Bayern, AOKplus Sachsen, Barmer, DAK und Techniker Krankenkasse) und dem Robert Koch Institut (RKI) werden verschiedene wissenschaftliche Fragestellungen zu COVID-19 bearbeitet. Bereits abgeschlossen sind Untersuchungen zur Prävalenz von Risikofaktoren für einen schweren COVID-19 Verlauf in der deutschen Bevölkerung. Für die Bewertung der Sicherheit einer COVID-19 Impfung konnten notwendige Analysen zur Hintergrundinzidenz von Sinusvenenthrombose und Myokarditis kurzfristig durch die InGef durchgeführt werden.
Drei weitere Forschungsthemen befinden sich im Rahmen dieser Kooperation in Arbeit bzw. werden aktuell publiziert. Dies ist zum einen die Identifikation von Risikofaktoren für einen schweren COVID-19 Verlauf. Des Weiteren werden COVID-19 assoziierten Langzeitfolgen (Post COVID-19) in der deutschen Bevölkerung – besonders bei Kindern und Jugendlichen thematisiert. Und schließlich beschäftigt sich ein weiteres Teilprojekt mit der Versorgung psychisch erkrankter Personen während der COVID-19 Pandemie.
AIR_PTE - AI based Risk Prediction and Treatment Effect estimation (Förderzeitraum: 2020-2022)
Das deutsch-kanadische Kooperationsprojekt AIR_PTE wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz und dem National Research Council of Canada gefördert und zielt auf die Entwicklung von Künstlichen Intelligenz (KI)-Methoden zur verbesserten und automatisierten Schätzung von Behandlungseffekten in Studien basierend auf deutschen und kanadischen Routinedaten. Die Methodik soll auf der Open-Source Software ConQuery als einfach zu bedienendes Tool implementiert und damit auch den Nutzern der EVA zur Verfügung gestellt werden. Entwickelt werden die Methoden anhand einer Pilotstudie zur Sicherheit und Wirksamkeit von antithrombotischen Therapien bei Patienten mit venöser Thromboembolien entwickelt. Bislang konnten die Ergebnisse der Pilotstudie veröffentlicht und erste KI-Methoden entwickelt werden, die zu weniger Verzerrung als standardmäßige Propensity Score Verfahren führen. Eine Übersichtsarbeit zum Projekt und zum Studiendesign wird derzeit peer-reviewed. Im nächsten Schritt folgen die Implementierung in Conquery sowie eine Evaluation der Methodik in anderen Studien.
sekTOR-HF - Transsektorale bedarfsorientierte Versorgung von Patienten mit Herzinsuffizienz und Schaffung eines regionalen Vergütungsmodells (Förderzeitraum: 2020-2024)
Das durch den Innovationsfonds vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) geförderte Projekt sekTOR-HF (Neue Versorgungsformen) setzt sich folgende Ziele: Reduktion unnötiger Krankenhausaufenthalte und Vermeidung von Wiederaufnahmen durch eine nach-stationäre Betreuung, Entwicklung und Etablierung eines sektorenübergreifenden Versorgungsmodells am Beispiel Herzinsuffizienz, Implementierung einer Netzwerkstelle zur Koordination der sektorenübergreifenden Versorgungsprozesse, sowie die Entwicklung und Simulation eines alternativen Vergütungsmodells. Dafür ist das Projekt optimal aufgestellt, denn neben der InGef arbeiten die Konsortialpartner AOK, DAK, Institut für angewandte Versorgungsforschung (inav), Kassenärztliche Vereinigung Bayern, PriMa e.G., Rhön-Klinikum, Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (rwi), Universitätsklinikum Gießen und Marburg (UKGM) und das Zentrum für Telemedizin Bad Kissingen (ZTM) engmaschig zusammen.
Weitere Fördermittelprojekte unter Beteiligung der InGef
Ende 2021 startete das vom BfArM für 18 Monate geförderte Projekt OpioiDE. In Kooperation mit dem Leibniz Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie (BIPS) beteiligt sich die InGef an dem Projekt zur Anwendung opioidhaltiger Arzneimittel in Deutschland. Im Forschungsvorhaben INHECOV-Socioeconomic inequalities in health during the COVID-19 pandemic werden im Auftrag des RKI und unter Förderung der DFG Zusammenhänge zwischen sozioökonomischen Status und COVID-19 untersucht.